Wien (pts019/01.02.2017/10:50) – Wiener Wissenschafter könnten eine Möglichkeit zur Nutzung eines bisher kaum bekannten Effekts einer Anwendung von Opioiden bei chronischen neuropathischen Schmerzen eröffnet haben: Das kurz wirksame synthetische Opioid Remifentanyl könnte bei chronischen Schmerzen vorliegende, langfristig wirksame Veränderungen der Schmerzleitung via Nervenzellen rückgängig machen. Was zunächst in Tierversuchen erkannt wurde, haben die Experten in einer Studie bei Patienten mit Neuralgien nach Herpes Zoster ebenfalls zeigen können.
„Opioide sind der Goldstandard in der Behandlung von mittleren bis schweren Schmerzen. Jetzt wurde aber im Tierversuch ein bisher nicht erkannter Effekt von Opioiden entdeckt. Sie können die bei der Chronifizierung von Schmerzen erfolgte und langfristig aufrecht erhaltene Übererregbarkeit von Nervenfasern (C-Fasern) und Synapsen zur Weiterleitung der Schmerzsignale wieder rückgängig machen“, berichtet Univ.-Prof. Dr. Jürgen Sandkühler, Leiter des Zentrums für Hirnforschung der MedUni Wien und Vorstandsmitglied der Österreichischen Schmerzgesellschaft (ÖSG) aus Anlass der Österreichischen Schmerzwochen.
Gemeinsam haben Wissenschafter der MedUni Wien und des Wiener Wilhelminenspitals auf der Basis dieser aus Tierversuchen gewonnenen Erkenntnisse eine klinische Studie an Patienten mit chronischen Schmerzzuständen nach Herpes zoster (Post-Zoster-Neuralgie) durchgeführt. Solche chronischen Schmerzzustände nach Herpes zoster-Attacken können ausgesprochen langwierig und mit schwersten Symptomen verbunden sein. Die Therapiemöglichkeiten könnten – wie bei den meisten neuropathischen Schmerzzuständen – noch deutlich besser werden.
Die Wissenschafter nahmen 21 Patienten mit Post-Zoster Neuralgie in ihre Studie auf. Alle Probanden erhielten über eine Stunde hinweg eine hoch dosierte Infusion mit dem Opioid-Analgetikum Remifentanyl. Dieses synthetische Opioid wird zum Beispiel in der Anästhesie eingesetzt. Es hat nur eine Halbwertszeit von wenigen Minuten und ist zweimal stärker als die verwandte Substanz Fentanyl bzw. hundert Mal stärker als Morphin.
Im der Beobachtungszeit von bis zu einer Woche wurden die Veränderung der Schmerzintensität, aber auch andere Parameter – Schmerzempfindlichkeit bei mechanischen Reizen etc. – gemesen. Der Effekt der Behandlung auf die chronischen Schmerzen wurde durch den Vergleich des Befundes vor und sieben Tage nach der Therapie bestimmt. Die Daten von 20 Probanden konnten ausgewertet werden.
„Von den 20 Patienten sprachen elf oder 55 Prozent auf die Therapie an. Bei acht Patienten kam es zu einer Verringerung der Schmerzintensität um 50 und mehr Prozent“, schilderte Studienleiter Univ.-Prof. Dr. Burkhard Gustorff, Leiter der Abteilung für Anästhesie, Intensiv- und Schmerzmedizin im Wiener Wilhelminenspital, das Hauptergebnis der Studie, die beim Kongress der Internationalen Gesellschaft zur Erforschung des Schmerzes (International Association for the Study of Pain, IASP) im September vergangenen Jahres präsentiert worden ist.
Sowohl am Tag nach der Behandlung als auch eine Woche nach der Infusionstherapie zeigte sich im Durchschnitt eine deutliche Reduktion der Schmerzintensität um 17,5 bzw. 18 Punkte auf der Schmerzskala. Das bedeutete eine Verringerung im Durchschnitt um 61 Prozent nach einer Woche.
Zur Überraschung der Wissenschafter wirkte die Therapie offenbar besser, wenn der Betroffene vor der Behandlung Zeichen einer deutlich erhöhten Schmerzempfindlichkeit aufwies. Andere auf Faktoren, welche man zur Auswahl der für die Opioid-Infusionen besonders geeigneten Patienten verwenden könnte, wurden nicht gefunden.
Quelle: Prosenz, Sandkühler et al.: The Effect of High-Dose Remifentanil on the Reversal of Neuropathic Pain
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